During the 1960s to 1980s Charles-Emanuel Ketterer collected and identified spiders mostly from Wallis (Switzerland) without almost any contacts to other arachnologists. His collection is documented accurately by a datasheet per sample. Considering the possibilities at that time, the identifications were highly accurate. The 836 samples re-determined cover 249 species. Four of them represent first records for Switzerland: Altella lucida (Simon, 1874), Agyneta suecica Holm, 1950, Neon rayi (Simon, 1875), and Hyptiotes flavidus (Blackwall, 1862). A further nine species would have been first records if Ketterer had published his data at that time.
Charles-Emmanuel Ketterer (CEK) war langjähriger Archivar der Stadt Sion im Kanton Wallis (VS). Ausgebildet in Natur- und Geisteswissenschaften arbeitete er in jungen Jahren kurze Zeit in der eidgenössischen Forschungsanstalt für Forstwirtschaft in Birmensdorf. Zurück im Wallis beschäftigte er sich einige Jahre mit verschiedenen faunistischen und floristischen Projekten, bis er dann 1973 Archivar der Stadt Sion wurde. In der Zeit seiner faunistischen Untersuchungen hatte er vor allem auch Spinnen, vorwiegend Linyphiidae, gesammelt. Der Sammler Charles-Emanuel Ketterer war lediglich durch eine frühe Publikation eines kleinen Artikels über Argiope bruennichi bekannt (Ketterer 1955) und hat sonst nie über Spinnen publiziert.
Seine Privatsammlung gelangte nach seinem Tod 1983 im Musée Cantonal de Zoologie Lausanne. Der Grossteil der Sammlung umfasst Fundorte aus dem Kanton Wallis, wenig Material stammt aber auch aus Spanien. Die Daten der Sammlung sollten für die Aufnahme in die nationale Datenbank Info Fauna des Centre Suisse de Cartographie de la Faune (Info fauna 2020) aufbereitet werden. Bevor die Daten in die Datenbank übertragen werden, sollten also die Bestimmungen des kaum bekannten Sammlers überprüft werden. Vorneweg: Die Bestimmungen sind erstaunlich akkurat und vor allem auch bei kleinen Unsicherheiten immer mit einem Fragezeichen versehen. In diesem Zusammenhang darf nicht vergessen werden, dass CEK sicher nicht Zugang zu einer umfangreichen Literatur hatte, wie dies heute mit den Online-Werken Nentwig et al. (2020) und WSC (2020) möglich ist.
Der Kanton Wallis ist eine biogeographisch interessante und arachnologisch wenig untersuchte Region. Daher versprach die Aufarbeitung dieser Sammlung interessante Hinweise zu einigen Arten zu liefern. Diese Erwartung wurde voll erfüllt, stellte sich doch heraus, dass in der Sammlung vier Arten verborgen waren, welche Erstnachweise für die Schweiz darstellen. Zusätzlich wurden auch neun Arten festgestellt, welche zu jener Zeit Erstnachweise gewesen wären, wenn sie publiziert worden wären.
Material und Methoden
Aufgearbeitet wurden lediglich die Proben aus der Schweiz. Die wenigen Funde aus Spanien und Frankreich wurden nicht bearbeitet. Pro Art wurde mindestens je ein Männchen und ein Weibchen nachkontrolliert, aber es wurden nicht immer alle Tiere einer Art untersucht. Ein spezielles Augenmerk wurde auf jene Arten gelegt, bei welchen sich im Verlauf der letzten Jahrzehnte taxonomische Änderungen oder Aufschlüsselungen von Arten ergeben haben. Ebenso wurden speziell jene Arten kontrolliert, deren Unterscheidung von ganz ähnlichen Arten besonders schwierig ist.
Die Nachbestimmungen erfolgten grundsätzlich anhand von Nentwig et al. (2020). Wo immer nötig und sinnvoll wurde weitere Originalliteratur beigezogen, ganz speziell bei den Erstnachweisen. Diese Literatur ist jeweils bei den Artbesprechungen angegeben. Die Nomenklatur folgt dem WSC (2020). Für die Bestimmung kam ein Leica M165 C zum Einsatz. Fotografien wurden mit einem Keyence VHX 6000 erstellt. Die Tiere sind im Allgemeinen sehr ausgebleicht, was nicht nur bei der Bestimmung, sondern auch beim Fotografieren problematisch war. Belegexemplare zu den unten diskutierten Arten werden im NMB hinterlegt, der Rest der Sammlung geht an das Musée Cantonal de Zoologie Lausanne zurück.
Ergebnisse
Beschreibung der Sammlung
Die Sammlung war offensichtlich während längerer Zeit stark lichtexponiert, sind doch viele Tiere relativ stark ausgebleicht. Zudem wurde die Bestimmung durch abgebrochene Borsten erschwert. Insbesondere bei den Linyphiidae (Baldachinspinnen) trat dieser Umstand recht häufig auf. Ob dies schon beim Sammeln passierte oder erst später, bleibt jedoch unklar.
Die Sammlung ist nicht systematisch, sondern eher nach Fundorten geordnet. Alle Proben einer Art wurden von CEK jeweils pro Fundort und Fangdatum in Glasröhrchen separiert, welche (heute?) in grösseren, dunklen Plastikbehältern aufbewahrt sind. Zu jedem dieser Behälter ist jeweils ein einzelner Ordner mit ausführlichen Notizen zu den Funden zugeordnet. Die Notizen umfassen Fundangaben und Hinweise zur Taxonomie. Die Fundangaben sind zum Teil ausgesprochen detailliert, trotzdem ist die genaue Lokalisierung heute in vielen Fällen nicht mehr möglich.
Jede einzelne Probe ist mit einer Etikette versehen, auf der Datum und Anzahl Männchen und Weibchen angegeben sind. Der Fundort ist nur codiert aufgeführt und die Artbezeichnung ist auf den jeweils ersten Buchstaben von Gattung und Art abgekürzt. Ohne die zugehörige Dokumentation in den Ordnern ist die Lokalisation der Fundorte nicht möglich.
Die Sammlung ist mit 22 Ordnern im Format A5 handschriftlich dokumentiert (vgl. Abb. 1). Diese Daten zur Sammlung wurden in eine Tabelle übertragen. Insgesamt wurden so 1036 Datensätze (Proben) erfasst. Bei sechs Proben waren die Tiere so stark ausgebleicht, dass eine Bestimmung nicht mehr möglich war. In 82 Proben waren nur juvenile Tiere, die sich nicht auf Artniveau bestimmen liessen. Alle Proben zum Ordner Nr. 20 (58 Proben) sowie weitere 26 Proben fehlen. Bei letzteren handelt es sich überwiegend um Arten, bei denen möglicherweise taxonomische Probleme vorgelegen haben. Der Verdacht liegt nahe, dass CEK diese Proben für Verifizierungen beiseite gestellt hat. Ebenfalls nicht nachbestimmt wurden 21 Proben aus dem Ausland (eine aus Frankreich, 20 aus Spanien). Drei Proben enthalten Tiere der Gattung Theridion sensu lato und vier Proben Weibchen der Gattung Trichoncus, deren Bestimmung weitere Abklärungen bedürfen. Somit verblieben 836 Proben, die nachbestimmt werden konnten.
In diesen Proben fanden sich mit 478 ♂♂ und 961 ♀♀ insgesamt 1439 Individuen/Spinnen von 249 Arten ( s. Anhang (AM59_88_96_Supplemenrt.pdf)). Die vollständigen Daten werden an die Schweizer Datenbank Info fauna weitergeleitet (Info fauna 2018a).
Die Sammlung umfasst einige weitere Behälter mit Proben, die jedoch von CEK nicht bestimmt wurden („indéterminées“) oder nicht in den vorliegenden Ordnern dokumentiert wurden. Weil dadurch eine Zuordnung der Tiere zu den Fundorten unmöglich ist, wurde auf die Überarbeitung dieser Belege verzichtet. Sollten die Dekodierungen irgendwann zum Vorschein kommen, so wäre es sicher interessant, auch diese Teile zu überprüfen.
Erstnachweise für die Schweiz
Dictynidae
Altella lucida (Simon, 1874)
CH: VS: Niedergampel, Getwing (heute wohl westlich der Kläranlage Radet), Ebene am rechten Ufer der Rhone, WGS84 46.30759°N, 7.68486°E (± 500 m), 620–630 m, 1 ♂, 12. Mrz. 1973, unter einem Stein auf dem Boden laufend, NMB-ARAN 28741.
CH: VS: Sion, Château de Montorge, WGS84 46.23070°N, 7.33490°E (± 50 m), 1 ♀, 19. Nov. 1969.
Bestimmung. Wunderlich (1974), Thaler & Noflatscher (1990), Roberts (1985)
Beide Tiere sind stark ausgebleicht, jedoch ist die Bestimmung zumindest des Männchens eindeutig (1 Stachel an Tibia III, 2 kleine kräftige Stacheln an Metatarsus I, Form des Konduktors). Beim Weibchen sind die grossen Epigynengruben erkennbar, die durchscheinenden Rezeptakeln sind nach hinten gerichtet.
Auffällig sind die Fangzeiten dieser selten gefangenen Tiere. Die Reifezeit ist gemäss Nentwig et al. (2020) im Juni und Juli. Diese Angabe ist eventuell zu revidieren. Die hier dokumentierten Tiere wurden im März (♂) und November (♀) gesammelt. Des Weiteren wurden von Theo Blick (unpubl. in litt.) aus Deutschland ein ♀ aus der Fangzeit 6. Nov. bis 10. Mrz. und zwei Männchen zwischen 10.–19. Apr. gemeldet und von Volker Hartman liegen Tiere vor, die im März/April in der Nähe von Koblenz gesammelt wurden (AraGes 2018). Sollte die Art ihre Hauptreifezeit eher im Winterhalbjahr haben, so wäre dies eine Erklärung für die (vermeintliche) Seltenheit.
Linyphiidae
Agyneta suecica Holm, 1950
CH: VS: Savièse, Granois, Westhang, Wald, im Moos gesammelt, WGS84 46.24954°N, 7.33699°E (± 1 km), 1 ♂, 31. Mai 1973, 2 ♂♂, 2 ♀♀ 3. Jun. 1973 (im Originalprotokoll werden 8 Tiere, davon 4 ♀♀ erwähnt, sub Agyneta subtilis), NMB-ARAN 28740.
Bestimmung. Gnelitsa (2014), Holm (1968), zum Vergleich mit Agyneta arietans (O. P.-Cambridge, 1873): O. Pickard-Cambridge (1873), Simon (1884), Wiehle (1956)
Die Tiere wurden ursprünglich von CEK als „eventuell Meioneta arietans“(il pourrait s'agir de M. arietans, Abb. 1) bestimmt, wobei er vermerkt, dass sein Männchen im Vergleich zu den Abbildungen von Simon (1884) und Wiehle (1956) eine weniger verlängerte Patella (un peu moins haute) zeigt. Die aktuelle Analyse der drei Männchen zeigt sehr gute Übereinstimmung mit Agyneta suecica (Abb. 2, 4).
Salticidae Neon rayi (Simon, 1875)
CH: VS: Niedergampel, Unter Getwing, am Weg am Fuss des Platten, WGS84 46.31067N, 7.68613°E (± 100 m), 620–630 m, 1 ♂, 8. Apr. 1973, NMB-ARAN 28753.
Die Art ist aus allen Nachbarländern der Schweiz bekannt (Nentwig et al. 2020), war also schon lange zu erwarten. Allerdings wird die Art auch von ausserhalb der Schweiz nur sehr selten gemeldet. Der Fundort liegt nahe bei jenem von Altella lucida, aber es ist zu vermuten, dass der Lebensraum von N. rayi heute so nicht mehr existiert. Heute liegt hier die Abwasserreinigungsanlage Radet.
Uloboridae
Hyptiotes flavidus (Blackwall, 1862)
CH: VS: Pfynwald südlich der Rhone zwischen Sierre und Leuk, genauer Fundort nicht bekannt. WGS84 46.30394°N, 7.59064°E (± 3 km), 530–560 m, Bemerkung im Fundprotokoll: „Partie ouest de la pinède, … orientation sud“, von Juniperus geklopft. 3 ♂♂, 1 ♀, 9. Sep. 1971, NMB-ARAN 28749.
Bestimmung. Wunderlich (2017), Le Peru (2011), Oger (2020), Wiehle (1929)
Die Tiere sind sehr stark ausgebleicht, dennoch aufgrund der Grösse, der Strukturen des Tasters und der Kleinheit der Rezaptakel in der Vulva eindeutig dieser Hyptiotes-Art zuzuordnen (Abb. 6).
Bei diesem Nachweis handelt es sich um den ersten Nachweis für die Schweiz. Zusammen mit den Follatères weiter westlich im Wallis ist der Pfynwald als ausserordentlich xerothermer Standort bekannt. Beide Standorte beherbergen viele Arten, welche sonst nur südlich der Alpen bekannt sind (Delarze & Hänggi 1996, Hänggi et al. 1996, Maurer & Walter 1980, 1984). Während bei den Funden von Hyptiotes flavidus in Deutschland aus der Nähe von Heidelberg aus den Jahren 2015 und 2016 (Wunderlich 2017) Verschleppung als mögliche Ursache für das isolierte Vorkommen vermutet wurde, dürfte es sich hier bei diesen Funden um Vertreter einer natürlichen Population handeln.
Älteste Nachweise für die Schweiz
Die folgenden Arten sind zwar schon für die Schweiz gemeldet worden, wären aber Erstnachweise gewesen, wenn CEK seine Funde publiziert hätte.
Dictynidae
Brommella falcigera (Balogh, 1935)
CH: VS: Savièse, Château de la Soie, WGS84 46.24218°N, 7.32558°E (± 50 m), nordwestlich des Turmes, aus Moos geklopft, 1 ♂, 5. Apr. 1980, NMB-ARAN 28743.
Erstnachweis CH. Hänggi & Stäubli (2012)
Brommella falcigera ist in Europa weit verbreitet, wird aber nur sehr selten gemeldet (Nentwig et al. 2020). In der Schweiz ist sie bisher nur aus dem Wallis in der Nähe von Leuk und im Pfynwald gefunden worden (Hänggi & Stäubli 2012).
Gnaphosidae
Cryptodrassus hungaricus (Balogh, 1935)
CH: VS: Sion, Montorge, am Fuss des Südhanges unter einem Stein, WGS84 46.22843°N, 7.33476°E (± 300 m), 580–650 m, 1 ♀, 25. Mai 1971, NMB-ARAN 28745.
CH: VS: Sion, Châteauneuf, crètes des Maladaires, unter einem Stein, WGS84 46.22105°N, 7.31656°E (± 300 m), 480–550 m, 1 ♀, 23. Mai 1972.
Erstnachweis CH. Hänggi (1999)
Bisher ist für diese Art aus der Schweiz nur ein Nachweis bekannt, welcher in der gleichen Gegend gemacht wurde wie die Funde der vorliegenden Weibchen (Hänggi 1999). Die Art scheint an xerothermen Standorten vorzukommen, lebt vermutlich nur im Boden und wurde bisher sehr selten gefunden (Nentwig et al. 2020).
Zelotes gallicus Simon, 1914
CH: VS: Sion, Montorge, WGS84 46.23227°N, 7.33284°E (± 300 m), 650 m, am Wegrand unter einem Stein, 1 ♀, 11. Jul. 1970 (sub Z. electus), NMB-ARAN 28756; 1 ♀ 12. Jun. 1972 (sub Z. subterraneus), NMB-ARAN 28757; 1 ♀ 14. Jul. 1971 (sub Z. subterraneus).
CH: VS: Leuk, Pfynwald, östlicher Teil, WGS84 46.31271°N, 7.62169°E (± 100 m), 560–590 m, unter einem Stein, 1 ♀, 30. Sep. 1971 (sub Z. subterraneus).
CH: VS: Leuk, Lichten, WGS84 46.31420°N, 7.66152°E (± 1000 m, ungenaue Angabe), 600–1000 m, unter einem Stein, 1 ♀, 15. Apr. 1974 (sub Z. subterraneus).
Erstnachweis CH. Basset im Jahr 1984 (Maurer & Hänggi 1990).
Der Nachweis von Schenkel (1939) (Lötschental) betrifft Zelotes apricorum (L. Koch, 1876) (Nachbestimmung des Materials, welches im NMB vorhanden ist). Interessant dabei ist, dass Schenkel die Art Zelotes gallicus als Erstnachweis vermerkt hat, in den Fängen aus dem Lötschental aber auch Zelotes apricorum aufgeführt hat. In der Sammlung fanden sich zwei Proben, eine sub Z. gallicus (2 ♂♂) und eine mit 1 ♂ und 7 ♀♀ von Zelotes apricorum. Zelotes gallicus scheint im Talgrund des Wallis recht verbreitet zu sein, während in höheren Lagen eher Zelotes apricorum vorzukommen scheint.
Ein weiterer Nachweis der Art aus dem Wallis wurde von Hänggi (1993) und Hänggi et al. (1996) vom Mt. Rosel bei Martigny publiziert (sub Zelotes pseudoclivicola).
Linyphiidae
Caracladus zamoniensis Frick & Muff, 2009
CH: VS: Dérborence, im Wald, aus Moosen am Wegrand geklopft, WGS84 46.28083°N, 7.21296°E (± 300 m), 1500–1600 m, 2 ♂♂, 7 ♀♀, 14. Sep. 1974, NMB-ARAN 28744; 3 ♀♀gleicher Fundort, 20. Sep. 1975.
CH: VS: Montana, östlich Centre Valaisan, Mischwald mit Pinus silvestris, aus Moos unter den Bäumen geklopft, WGS84 46.30412°N, 7.48602°E, 1350 m, 1 ♂, 1. Nov. 1982. CH: VS: Nendaz, Val de Nendaz, Region Les Finys, rechtes Ufer der L'Ogeintse,aus Moos geklopft,WGS84 46.17693°N, 7.34826°E (± 300 m), 1400–1500 m, 1 ♀, 8. Aug. 1972.
Bestimmung. Frick & Muff (2009)
Erstnachweis CH. Frick & Muff (2009)
Die Art Caracladus zamoniensis wurde erst 2009 von Caracladus avicula abgetrennt (Frick & Muff 2009). Die morphologischen Unterschiede sind subtil, aber auch ökologisch gibt es Unterschiede. So lebt C. zamoniensis nur im Waldesinneren in der Nadelstreu direkt unter den Bäumen, während C. avicula auch ab und zu im Bereich von einfallendem Sonnenlicht unter alleinstehenden Fichten vorkommt. Beide Arten können syntop vorkommen, wurden aber nie in derselben Bodenfalle gefangen. Die Analyse von Museums-material zeigt, dass einige ältere Nachweise von C. avicula der neuen Art zugeordnet werden müssen (Frick & Muff 2009).
CEK hat nur C. avicula bestimmt, wobei ausgerechnet jenes Weibchen, welches er mit einem Fragezeichen versehen hatte, ein echtes C. avicula war, im Gegensatz zu den übrigen Tieren, die alle C. zamoniensis zuzurechnen sind (Abb. 7). Dies könnte darauf hindeuten, dass er bei diesem Beleg gewisse Unterschiede zu den anderen festgestellt hat, diese aber nicht als getrennte Arten aufgefasst hat.
Die ökologische Trennung der Arten kann auf Grund der Angaben von CEK weder bestätigt noch verworfen werden: alle Tiere wurden aus Moos geklopft, das (irgendwo) im Wald gesammelt wurde (Abb. 7).
Mansuphantes pseudoarciger (Wunderlich, 1985)
CH: VS: Evolène, oberhalb Le Louché, am Fusse Kessels vor La Cassorte und den Aiguilles Rouges, WGS84 46.04487°N, 7.45731°E (± 300 m), ca. 2500 m, unter einem Stein, 2 ♂♂, 1 ♀, 7. Okt. 1979, NMB-ARAN 28750.
Bestimmung. Wunderlich (1985), Bosmans (in Heimer & Nentwig 1991)
Erstnachweis CH. Wunderlich (1985)
Bisher aus der Schweiz nur vom Fundort der Originalbeschreibung (VS: Col de la Forclaz, ca. 1100 m) bekannt. Aus Italien und Frankreich liegen weitere, spärliche Funde dieser eher alpinen Art vor (Pantini & Isaia 2019).
Ostearius melanopygius (O. P.-Cambridge, 1880)
CH: VS: Montorge, Südhang Richtung See, unter einem Stein, WGS84 46.23330°N, 7.33471°E (± 100 m), 450 m, 1 ♂, 25. Dez. 1977, NMB-ARAN 28754.
Erstnachweis CH. Benz et al. (1983)
Bei Ostearius melanopygius handelt es sich um eine heute kosmopolitisch verbreitete Art, die erstmals aus Neuseeland beschrieben wurde. Die Art ist offensichtlich ein ausgezeichneter Fadenflieger (Verbreitung durch Windverdriftung an einem Spinnfaden) und ist inzwischen in nahezu ganz Europa gefunden worden. Růžička (1995) analysierte die Expansion in Europa und stellte eine Ausbreitung von Westen nach Osten seit den 1940er Jahren fest. Von besonderem Interesse ist das Funddatum Ende Dezember, wobei die Art ganzjährig adult angetroffen werden kann. In der Zwischenzeit sind viele Meldungen aus der Schweiz vor allem aus dem Jura bekannt (Info fauna 2020b).
Salticidae
Evarcha laetabunda (C. L. Koch, 1846)
CH: VS: Pfynwald südlich der Rhone zwischen Sierre und Leuk, genauer Fundort nicht bekannt. WGS84 46.30394°N, 7.59064°E (± 3 km), 530–560 m, Bemerkung im Fundprotokoll: „Partie ouest de la pinède“), von Wacholder geklopft, 1 ♂, 9. Sep. 1971, NMB-ARAN 28748.
Erstnachweis CH. Maurer & Walter (1980)
Auch bei dieser Art hat CEK im Protokoll festgehalten „Nouveau pour la Suisse“. Die Art gilt als xerothermophil, wobei der Erstnachweis in Maurer & Walter (1980) aus einem Hochmoor stammt. Seither wurde die Art in mehreren Magerwiesen aus dem Westschweizer Jura gemeldet (Pozzi 1997).
Neon levis (Simon, 1871)
CH: VS: Pfynwald südlich Rhone zwischen Sierre und Leuk, Nähe Forschungsstation EPF, WGS84 46.30005°N, 7.57148°E (± 300 m), 560 m, aus Moos geklopft, 1 ♀, 21. Okt. 1971, NMB-ARAN 28758.
Erstnachweis CH. Maurer & Hänggi (1990), Hänggi (1993) Die Art wurde in der Schweiz bisher nur aus dem Tessin gemeldet. Aus dieser Region sind jedoch mehrere Funde bekannt (Info fauna 2020b).
Theridiidae
Enoplognatha oelandica (Thorell, 1875)
CH: VS: Sion, Châteauneuf, crètes des Maladaires, unter einem Stein, WGS84 46.22105°N, 7.31656°E (± 300 m), 480–550 m, 2 ♀♀, 23. Mai 1972 (sub Enoplognatha mandibularis), NMB-ARAN 28747.
Bestimmung. Tullgren (1949), Bosmans & Van Keer (1999), Wunderlich (1976)
Erstnachweis CH. Hänggi (1999)
Diese Art wurde von CEK als „Enoplognatha mandibularis (Lucas, 1846)“bestimmt. Tatsächlich handelt es sich um Enoplognatha oelandica. Es ist aber davon auszugehen, dass die Bestimmung von CEK insofern „korrekt“ist, als er wahrscheinlich nach Locket & Millidge (1953) bestimmt hat und dort die Arten verwechselt wurden. In beiden Fällen wäre die Bemerkung von CEK „Probablement nouveau pour la Suisse“zu jener Zeit korrekt gewesen. Enoplognatha oelandica wurde aber seither aus dem Wallis, aus dem gleichen Gebiet gemeldet (siehe auch Cryptodrassus hungaricus).
Sonstige Besonderheiten
Zwei weitere Arten, welche auf Grund taxonomischer Probleme von besonderem Interesse sind oder zumindest früher waren, werden hier kurz besprochen.
Linyphiidae
Diplocephalus cristatus (Blackwall, 1833)
(= Diplocephalus foraminifer (O. Pickard-Cambridge, 1875))
CH:VS:St.Léonard,amUferderLiène,WGS8446.26164°N, 7.41342°E (± 300 m),525 m,unter feuchtem Laub,2 ♂♂,4 ♀♀, 30. Okt.–2. Nov. 1972, NMB-ARAN 28746.
Erst kürzlich wurde die Art Diplocephalus foraminifer (O. Pickard-Cambridge, 1875), welche sich durch eine ganz spezielle Kopfform auszeichnet, mit D. cristatus synonymisiert (Bosmans & Oger 2018). Das Besondere an der vorliegenden Probe ist, dass die beiden Männchen vom gleichen Fundort verschiedene Formen repräsentieren (Abb. 8): einerseits die typische D. cristatus Form (oben), andererseits eine Form mit deutlich verlängerten Kopffortsätze nahe der typischen foraminifer Form (unten). Die taxonomische Situation rund um die vielen Formen aus der D. cristatus/foraminifer-Gruppe ist in Bosmans & Oger (2018) zusammengefasst. Aber auch in der Schweiz hat die foraminifer-Form eine bewegte Geschichte, die in Hänggi & Stäubli (2012) zusammengefasst wurde. Lange wurde die foraminifer-Form als eine Art der Gebirge oder alpinen Zonen verstanden, einzelne Funde in tieferen Lagen waren aber auch bekannt. Die vorliegenden Fundumstände „unter Laub, am Ufer der Liène“passen sehr gut zu den Angaben in Bosmans & Oger (2018): „At lower altitudes, these spiders occur in more restricted habitats such as caves, near springs and rivulets“.
Eine weitere Probe mit D. cristatus der foraminifer-Form liegt aus dem Paralleltal vor und stammt ebenfalls aus relativ tiefer Höhenlage:
CH: VS: Savièse, La Sionne, WGS84 46.25095°N, 7.36639°E (± 500 m), 600–700 m, aus feuchtem Moos geklopft, 1 ♂, 2 ♀♀, 24. Sep. 1972.
Erigone tenuimana Simon, 1884
CH: VS: Evolène, Le Louché, im Talgrund oberhalb Le Lac Bleu, unter einem Stein zusammen mit Ameisen, WGS84 46.04901°N, 7.47049°E (± 300 m), ca. 2200 m, 1 ♂ 18. Okt. 1972 (sub Erigone cristatopalpus var. leptocarpus, Abb. 9); unter dem gleichen Stein auch Erigonella subelevata.
Erigone tenuimana ist eine selten gefundene, subalpin-alpin verbreitete Art. Maurer & Hänggi (1990) führten sie we-gen taxonomischer Probleme noch unter den unsicheren Arten mit zwei Meldungen von Schenkel (1925, 1929) aus dem Tessin (Bedrettotal) und dem Wallis (Fiesch-Eggishorn). Der vorliegende Fund ergänzt die Verbreitungskarte in Muster & Hänggi (2009) im Westen der Zentralalpen. Weitere Funde liegen inzwischen vom Furkapass vor (Hänggi 2018).
Diskussion
Die Bedeutung dieser Sammlung von Charles-Emmanuel Ketterer ist kaum zu überschätzen. In einer älteren Sammlung vier aktuelle Erstnachweise von Spinnenarten für die Schweiz zu finden, ist keineswegs selbstverständlich. Wenn man dazu bedenkt, dass weitere neun Arten Erstnachweise gewesen wären, wenn CEK seine Fänge zurzeit publiziert hätte, so lässt sich die Bedeutung der Aufsammlung erahnen.
Die Mittel, welche CEK für die Bestimmung zur Verfügung hatte, sind in keiner Weise mit den Mitteln zu vergleichen, welche heute für die Bestimmung der Arten vorliegen (Nentwig et al. 2020 und WSC 2020, letztere mit Zugang zur kompletten Bestimmungsliteratur in Form von downloadbaren pdf's). Wenn man sich seine Bestimmungen anschaut, wo ab und zu Arten verwechselt wurden (als Beispiele Enoplognatha mandibularis und Enoplognatha oelandica) und diese Bestimmungen dann mit den damals verfügbaren Werken vergleicht, so kann man zum Schluss kommen, dass CEK wohl vorwiegend auf die französischen Werke von Eugène Simon und das englische Bestimmungsbuch von Locket & Millidge (1953) zurückgegriffen hat.
Aus den umfangreichen Notizen zu jedem Fang ergibt sich, dass CEK vor allem mit Handfängen, Klopfproben und dem Aussieben/Ausklopfen von Moospolstern gearbeitet hat. Inwieweit gezielte, projektbezogene Sammelaktionen unternommen wurden oder ob es sich lediglich um eine Freizeitbeschäftigung gehandelt hat, ist nicht sicher festzustellen. Die Tatsache, dass CEK keine seiner Funde je publiziert hat, lässt eher auf Freizeitbeschäftigung schliessen. Es ist aber ausgesprochen schade, dass diese Daten nie publiziert wurden, hätten sie doch für einen wesentlichen Erkenntnisgewinn für die Spinnenforschung in der Schweiz gesorgt. Auch hier zeigt sich einmal mehr ein Problem der (nicht nur Amateur-) Forschung: Wissen zu horten mag zwar spannend und befriedigend sein, aber nur Wissen, das auch weitergeben wird, kann als wissenschaftliche Erkenntnis dienen.
Ältere Aufsammlungen von Spinnen aus dem Wallis stammen mehrheitlich aus höheren Lagen. So hat beispielsweise Schenkel in seinen Ferien offensichtlich viele Bergwanderungen gemacht und dabei Spinnen gesammelt (Schenkel 1925, 1926, 1927, 1933, 1939), nicht aber in den tieferen Lagen. Aus den Fundortangaben bei CEK geht vor allem bei den besonders interessanten Arten hervor, dass der Talgrund des Wallis mit den vielen sonst eher südlich verbreiteten Arten von besonderem Interesse ist. Gerade vor dem Hintergrund von „global warming“und der damit verbundenen zu erwartenden Veränderungen in der Zusammensetzung unserer Fauna wäre es wichtig zu wissen, welche Arten früher vorhanden waren. Nicht jede neu gefundene Art ist auch wirklich neu. Als eigentliche Hotspots der Biodiversität scheinen sich der Mont d'Orge und die Crêtes des Maladaires bei Sion, der Pfynwald zwischen Sierre und Leuk, das Gebiet Radet zwischen Leuk und Gampel und weiter im Westen die Follaterres bei Martigny abzuzeichnen. Während für letzteres Gebiet Spinnen schon früher bearbeitet wurden (Delarze & Hänggi 1996), liegen für die anderen Orte keine Untersuchungen zur Spinnenfauna vor. Bei den Crêtes de Maldaires wurden einige wenige Untersuchungen gemacht (Genini 2000), was auch zu einigen Erstnachweisen für die Schweiz geführt hat (zum Beispiel Cryptodrassus hungaricus, publiziert in Hänggi 1999). Die Region Radet wurde seit den Untersuchungen von CEK wohl vollständig umgestaltet (heute befindet sich dort eine Abwasser-Kläranlage), jedoch könnte zumindest der südexponierte Fuss des „Blatte“sehr interessant sein. Der Pfynwald als Naturschutzgebiet von nationaler Bedeutung gilt unbestritten als Hotspot. Von diesem Gebiet liegen einzelne Funde von Spinnen vor, aber es wäre auf jeden Fall sehr wertvoll, vorhandenes Material von dort zu bearbeiten oder eine standardisierte Untersuchung zu starten.
Die Sammlung von CEK ist eher per Zufall an das Musée Cantonal de Zoologie Lausanne gelangt und wäre beinahe unbeachtet verloren gegangen. Damit wären ebenfalls ausgesprochen wertvolle Informationen verlorengegangen. Das Beispiel zeigt, wie wichtig es wäre, dass alle privaten Sammlungen in Museen deponiert werden sollten. Im Idealfall sollte dieser Übergang der Sammlung zu Lebzeiten der Sammlerin oder des Sammlers geschehen, damit allfällige Lücken in der Dokumentation durch Rückfragen noch gefüllt werden können. Ein hervorragendes Beispiel in diesem Sinne ist die Sammlung Elisabeth Bauchhenss, die dem NMB übergeben wurde.
Danksagung
Jean-Luc Gattolliat vom Musée Cantonal de Zoologie in Lausanne möchten wir für die zur Verfügungsstellung der Sammlung Ketterer und für die französische Übersetzung der Zusammenfassung herzlich danken. Ebenso geht unser Dank an Yves Gonseth vom Centre Suisse de Cartographie de la Faune in Neuchâtel, der den Kontakt aufgebaut hat. Dieter Martin möchten wir für das Belegtier zu „Agyneta arietans“von Holzberg, Deutschland danken. Edi Stöckli und Theo Blick haben dankenswerterweise frühere Versionen des Manuskriptes gegengelesen und Verbesserungen angeregt. Für konstruktive Hinweise danken wir den Reviewern Hubert Höfer, Christoph Muster und Dieter Nährig sowie den Schriftleitern.
Literatur
Appendices
Elektronisches Supplement (PDF)
Artenliste der Spinnensammlung C. E. Ketterer mit Angabe der Anzahl ♂♂ und ♀♀ sowie der Anzahl Fundorte für jede Art.
List of all spider species of the Coll. C. E. Ketterer. Indicated are the numbers of ♂♂ and ♀♀ as well as the number of localities where the species was found.